1898-1983 & 1893-1967
Mathematikerinnen und Pionierinnen der Dresdner Universitätsgeschichte
Dresden
Anfang des 20. Jahrhunderts öffneten sich für deutsche Frauen die Tore zur akademischen Bildung und Berufstätigkeit, in Sachsen 1906/07. Johanna Wiegandt (1893–1967) promovierte als erste Frau an einer deutschen Technischen Hochschule im Bereich Mathematik und erwarb den akademischen Titel „Dr. rer. techn.“. Ihre Schwester Gertrud (1898–1984) wurde die erste Assistentin an der Mathematischen Fakultät der Technischen Hochschule (TH) Dresden.
Beide entstammten dem Bildungsbürgertum. Aus der Ehe von Leopold Wiegandt, Alt-Philologe und Lehrer in Dresden-Neustadt, und Helene Thienemann gingen die beiden Töchter sowie Sohn Bernhard hervor, der im Ersten Weltkrieg ums Leben kam. Johanna Wiegandt besuchte eine private höhere Mädchenschule und legte 1914, nach Vorbereitungen an einem privaten Realgymnasium, extern ihr Abitur an einem Dresdner Realgymnasium für Knaben ab. Danach begann sie im Sommersemester 1914 ihr Studium der Mathematik und Physik an der TH Dresden. Nach zwei Semestern in Heidelberg und Göttingen erhielt Johanna W. 1919 in Dresden die Zuerkennung der Lehrbefähigung und promovierte mit Auszeichnung „Über den Zusammenhang zwischen ähnlich veränderlichen und starren Systemen“. Ab April 1921 unterrichtete sie als Lehrerin für Mathematik und Physik an der 1911 gegründeten „Studienanstalt für Mädchen“ zu Dresden, wurde 1926 zur Studienrätin ernannt und lehrte dort bis zu ihrem Renteneintritt 1956. Danach arbeitete sie freiberuflich als Dozentin für höhere Mathematik im Fernstudium an der TH Dresden. Johanna Wiegandt starb am 26. September 1967 an den Folgen eines Autounfalls.
Die fünf Jahre jüngere Gertrud Wiegandt konnte 1918 bereits auf direktem Weg ihr Abitur an der Dresdner Studienanstalt für Mädchen ablegen. Sie begann ihr Studium der Mathematik und Physik 1918 in Heidelberg. Nach dem Sommersemester 1920 an der Universität Leipzig beendete sie ihr Studium 1922 an der TH Dresden mit der Prüfung für das höhere Schulamt. 1923 wurde sie Assistentin an der Professur für Mathematik bei Prof. Gerhard Kowalewski und führte Übungen für Ingenieursstudenten durch. 1924 promovierte Gertrud W. „Zur natürlichen Geometrie einer zehngliedrigen Gruppe von Berührungstransformationen der Ebene“. Gertrud W. beschäftigte sich auch mit mathematisch-historischen Studien und engagierte sich in der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis, zeitweilig auch in deren Vorstand. G. Wiegandt war Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), der ab 1933 als einziger Lehrerverband existierte. Hiervon ist auch für J. Wiegandt auszugehen. Die Mitgliedschaft war dabei oft eine Notwendigkeit zum Erhalt des Arbeitsplatzes. Nach mehrmaliger Verlängerung ihres befristeten Arbeitsverhältnisses endete ihre Tätigkeit an der TH Dresden im Jahr 1938. Sie wechselte für zwei Jahre in den Schuldienst und arbeitete ab 1940 bis zu ihrem Renteneintritt als Industriephysikerin bei der Dresdner Firma Koch und Sterzel (Hochspannungs- und Röntgentechnik). Am 28. Dezember 1983 starb sie in Dresden und fand auf dem St. Pauli-Friedhof ihre letzte Ruhestätte.
Dr. Johanna Wiegandt und Dr. Gertrud Wiegandt gehören zu den Pionierinnen des Frauenstudiums und der akademischen Berufstätigkeit in Dresden. Ihr Beispiel ermutigte andere junge Frauen, ihre
Talente und Fähigkeiten über eine akademische Ausbildung zu entfalten.
Autorinnen: Vivian Weidner & Susanne Salzmann
Am 2. Mai 2023 wurde die 33. "frauenorte sachsen"-Gedenktafel in Dresden eingeweiht.
Zur feierlichen Enthüllung der Tafel für die Mathematikerinnen Dr. Gertrud und Dr. Johanna Wiegandt waren zahlreiche Unversitätsangehörige, Gäste und Interessierte erschienen. Die Veranstaltung
wurde von Prof. Dr. Ursula M. Staudinger, Rektorin der TU Dresden, von Dr. Andrea Blumtritt, Leiterin der Abteilung V – Demokratie, Bürgerbeteiligung und
Gleichstellung im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung,
sowie von Dr. Jessica Bock, stellv. Vorsitzende des Landesfrauenrat Sachsen e.V., offiziell eröffnet.