Dr. Frieda Freise

geb. Kalmanowitsch, 1886-1938

Bezirkswohlfahrtsärztin, Stadtschulärztin und Vorkämpferin für eine Mütterschule

Stollberg/Erzg.


Bild: Dr. Frieda Freise, Chemnitz, um 1930. Photoatelier Maria Schmid, Chemnitz, Weststraße 36. Aus Privatbesitz.
Bild: Dr. Frieda Freise, Chemnitz, um 1930. Photoatelier Maria Schmid, Chemnitz, Weststraße 36. Aus Privatbesitz.

Frieda Kalmanowitsch wurde am 7. November 1886 in der Kreisstadt Disna (heute Dsisna, Weißrussland) als Tochter der Eheleute Alexander Kalmanowitsch (1856−1916), baltisch-jüdischer Rechtsanwalt und Abgeordneter der I. Russischen Duma, und Sophie Mindlin (1855−1915) geboren. Sie hatte drei Brüder. Ab 1906 studierte sie Medizin in Bern (Schweiz) und Straßburg (Frankreich). An der Universität Straßburg wurde sie 1911 promoviert. Eine Zeit lang war sie Assistenzärztin bei ihrem Bruder Dr. Boleslaw Kalmanowitsch in Disna, der später (1919) von den Bolschewiki erschossen wurde. Es folgten Anstellungen am Bürgerhospital und der Hebammenschule in Straßburg (1912/13), an der Universitäts-Augenklinik in Leipzig (1913/14) und der Universitäts-Kinderklinik in Göttingen (1915/16). Nachdem sie am 1. Juli 1916 den Privatdozenten und späteren Marinestabsarzt Dr. Eduard Freise geheiratet hatte, leistete sie ärztlichen Kriegsdienst in der Marinefestung Wilhelmshaven. Anfang 1918 wurde ihr Sohn Valentin geboren.

Nach dem Tod ihres Ehemannes (1921) nahm Frieda Freise an der Universitäts-Kinderklinik in Leipzig ihre ärztliche Tätigkeit wieder auf.

 

Im Oktober 1922 wurde sie als erste Frau in das Amt der Bezirkswohlfahrtsärztin beim Bezirksverband der Amtshauptmannschaft sowie der Schul- und Fürsorgeärztin für Stollberg (Erzgebirge) berufen. Unter anderem war sie für die ärztliche Versorgung von mehr als 1.200 Kindern der dortigen Bürgerschule und des Kinderheimes Hormersdorf zuständig. Im Juli 1925 wechselte sie als Stadtschulärztin nach Chemnitz. Die ärztliche Betreuung von Schülerinnen und Schülern an Volksschulen und der Hilfsfortbildungsschule gehörte zu ihren Hauptaufgaben.

 

Im Herbst 1927 unterstützte sie die Gründung der „Chemnitzer Mütterschule“, die als erste Einrichtung ihrer Art in Sachsen werdende Mütter auf die Geburt, Pflege und Erziehung ihrer Kinder vorbereitete, und hielt in den Folgejahren Kurse an dieser Schule. Die Kurse beinhalteten neben dem Bereich der Erziehung und Pflege von Säuglingen, Kleinkindern und Kindern auch eine umfassende Ausbildung in Haushaltsführung. Das Lehrprogramm umfasste die vor- und nachgeburtliche Pflege der Mutter, die Ernährung des Säuglings, die physischen und psychischen Entwicklungsphasen des Kindes, Krankheitsbilder und ihr Umgang damit sowie Erste-Hilfe-Maßnahmen.

Im Oktober 1933 wurde Dr. Freise im Zuge der Umsetzung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in den dauerhaften Ruhestand versetzt. Der 2. Bürgermeister der Stadt bewertete ihre Entlassung als „schweren Rückschlag“ für den ärztlichen Dienst der Stadt.

Sie ließ sich nun als Ärztin für Allgemeinmedizin in Chemnitz nieder und eröffnete am 1. Dezember 1933 in ihrer Wohnung im Mietshaus Zschopauer Straße 173 eine eigene Praxis.

 

Nachdem sie im Mai 1937 Opfer einer Verleumdungskampagne eines NS-Ratsherrn geworden war, verlegte sie im Juli 1938 ihren Wohnsitz in die Gemeinde Prutting bei Rosenheim (Oberbayern). Aufgrund eines Hirnschlages wurde sie ins Städtische Krankenhaus in Rosenheim eingeliefert. Bereits todkrank, erfuhr sie dort von den Exzessen der reichsweiten Novemberpogrome.

Dr. Freise starb am 28. November 1938. Ihre letzte Ruhestätte befand sich auf dem Städtischen Friedhof in Rosenheim.

 

Autor: Dr. Jürgen Nitsche


Einweihung am 28. November 2022

 

Anlässlich ihres 84. Todestages wurde eine "frauenorte sachsen"-Tafel zu Ehren von Dr. Frieda Freise in Stollberg eingeweiht. Als Tafelort wurde die Altstadtschule Stollberg ausgewählt, welche als ehemalige Bürgerschule Stollbergs nachweislich Wirkungsort Freises war. Die Feierlichkeit wurde von Marcel Schmidt, Oberbürgermeister der Stadt Stollberg, eröffnet. Durch das weitere Programm führte unsere stellvertretende Vorsitzende und Vorsitzende im "frauenorte sachsen"-Fachbeirat, Dr. Jessica Bock. Es schlossen sich zwei Schülerinnen der Altstadtschule mit einem kurzen biografischen Vortrag zu Frieda Freise an.

 

Die Tafel kann an der Altstadtschule Stollberg, Ecke Ackermannstr./Brückenstr. in 09366 Stollberg besichtigt werden.

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